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Die Wohnung, Gunther Tannberg, Kapitel 1, Paul, Schwarze Diamanten, Shadowrun
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Gunther schüttelt ein wenig amüsiert den Kopf über den merkwürdigen Dialekt, den die Frau spricht, wartet einen Moment, bis sie auch ganz sicher verschwunden ist, und stößt die Tür wieder auf. Ihm kommt der typische Geruch alter Bausubstanz entgegen: feuchter Beton kombiniert mit abgestandener Luft und Unrat. Tatsächlich hat das Treppenhaus schon bessere Zeiten gesehen, die Stufen sind mit eingetrocknetem Dreck überzogen, es liegt Abfall und Unrat herum und die Wände sind bis auf einen halben Meter Höhe mit schwarzen Schimmelblüten bedeckt, unter denen man noch unzählige Graffitis erkennen kann. Summende Neonröhren erhellen die trostlose, verdreckte Szenerie.
Zu Gunthers Rechten befindet sich zwar ein Pärchen metallener Aufzugtüren, allerdings baumelt ein Schild mit der Aufschrift „Auser Betriep!“ daran. Notgedrungen wendet sich Gunther der Treppe zu. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und möglichst flach atmend bahnt er seinen Weg nach oben. „‘Oberstes Stockwerk‘, sagte die Frau“, murmelt er zu sich selbst.
Von oben kann man mehrere Stimmen hören, die sich in unterschiedlichen Sprachen miteinander unterhalten. Langsam und ruhig geht der Zwerg immer höher, mittlerweile ist er in der fünften Etage angekommen. Auf seinem Weg nach oben konnte er feststellen, dass dieser Flachdachbau irgendwann einmal um ein paar Stockwerke erhöht wurde, was vielleicht auch die Risse in den Wände erklären würde, die an manchen Stellen zu sehen sind.
Am Ende der Treppe angekommen steht er in einem langen Flur und müsste sich jetzt eigentlich nach links wenden, um zu der Wohnung zu gelangen, von der die dicke Frau gesprochen hat. Jedoch blockiert ein alter Mann in einem Rollstuhl den Weg – der Mann trägt einen olivfarbenen Parka mit dem aufgenähten Emblem der alten Deutschlandflagge, eine braune Cordhose und abgewetzte Militärstiefel. Sein weiß-graues Haar hängt ihm in langen, fettigen Strähnen vom Kopf herab. Er schaut langsam auf, dreht den Kopf in Gunthers Richtung und blickt dem Zwerg direkt ins Gesicht: „Ah, ein neues Gesicht!“, sagt er mit kratziger Stimme. „Dich habe ich hier noch nie gesehen. Willst wohl in die Wohnung dort hinten, was!?“ Er deutet mit seinem Arm in genau die Richtung in der Gunthers Ziel liegt, bevor er fortfährt: „Die Wohnung vom alten Greg, jedenfalls hat er sich so genannt, wenn du verstehst, was ich meine!“ Mit diesen Worten dreht er seinen Rolli und bewegt sich in entgegengesetzte Richtung den Flur entlang. „Und übrigens, ich bin Paul!“
„Hallo Paul, ich bin Gunther”, antwortet der Zwerg im Plauderton. Etwas irritiert ist er schon darüber, dass der Mann sofort wusste, was Gunther hier will. Das macht ihn nervös.
„Was hat es denn mit der Wohnung auf sich?”, will er neugierig wissen. “Und was könnt ihr mir über diesen Greg erzählen?”, setzt er hinterher, ohne auf die Antwort auf die erste Frage zu warten.
„Ach nix“, kommt es nur beiläufig von Paul, als dieser weiter den Gang hinunterfährt, um schließlich in einer Wohnung zu verschwinden.
Langsam wendet sich Gunther nach links und geht den Gang entlang. An diesem Ende des Flurs gibt es nur zwei Wohnungen, die eine mit Blick zur Straße, die andere, Gunthers Ziel, in Blickrichtung die Anhöhe hinunter, also sozusagen mit Aussicht. Die Wohnungstür selbst ist mit zwei Schlössern versehen, daneben befindet sich zu Gunthers Überraschung ein Gerät, das normalerweise eher in Hochsicherheitsbereichen Verwendung findet: ein Retinascan! Gunther stutzt, denn mit solchen Vorkehrungen hatte er hier nicht gerechnet.
Er wirft noch einmal einen Blick auf den Schlüsselbund, den er immer noch in der Hand hält. Kurzentschlossen probiert er diesen aus, und tatsächlich kann er die beiden Schlösser problemlos mit jeweils einem der Schlüssel vom Schlüsselbund öffnen. Etwas verstohlen blickt er sich um, ob ihn auch ja niemand beobachtet, aber die Luft ist rein. Er stellt sich auf die Zehenspitzen und schafft es so gerade, sein rechtes Auge vor die Linse zu bekommen. Augenblicklich aktiviert sich das Gerät und beginnt damit, das Auge zu scannen. Das bläuliche Leuchten des Scanners verschwindet, nachdem der Scan abgeschlossen ist, und Gunther kann ein Klicken im Schloss der Tür hören. Ein leises Summen ist zu hören, und die Tür öffnet sich einen Spalt wie von Geisterhand.
“Ach Du heilige Scheiße”, entfährt es Gunther mit einem überraschten Keuchen.
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