Schlagwörter
Bovzek, Gunther Tannberg, Kapitel 1, Schwarze Diamanten, Shadowrun, Sonnenleite
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Gunther überlegt kurz, ob er das gefundene Transcript dem Ork gegenüber erwähnen soll, entscheidet sich aber dagegen – es würde nur Wasser auf Bovzeks Mühlen sein. „Sämtliche digitalen Unterlagen über die Akten wurden gelöscht oder sind auf einem Rechner gespeichert, der nicht von der Matrix aus zugänglich ist“, lügt er. „Auf jeden Fall kam ich nicht weiter rein.“
„Findest Du das nicht auch zumindest ein wenig merkwürdig?”, hört man durch das Kommlink.
„Ich habe aber noch etwas anderes gefunden“, übergeht Gunther die Bedenken seines Freundes. „Ein paar Dokumente, in denen von Schwarzen Diamanten die Rede war. Komisch, nicht? Ich dachte immer, Diamanten seien durchscheinend. Ob das ein Codewort ist?“
„Schwarze Diamanten sind eine sehr seltene Variante der normalen Diamanten“, belehrt ihn der Ork fast schon ein wenig herablassend, „und entsprechend wertvoll. Pass bloß auf, Chummer, nicht dass Du es auch noch mit der Diamanten-Mafia zu tun bekommst! Ich habe Dir doch gesagt, in diesem Megaplex wohnt der letzte Abschaum …“
„Wir erreichen das Ziel in fünf Minuten, bitte bereitmachen, die manuelle Steuerung zu übernehmen“, wird das Gespräch von der nüchternen Stimme des Autopiloten unterbrochen. Gunther setzt sich angespannt auf und mustert die Umgebung.
„Wie ich höre bist du bald da“, kommentiert Bovzek über das Kommlink. „Denk daran, was ich dir gesagt habe: Falls du Schwierigkeiten bekommen oder in irgendwelche geraten solltest, ein Anruf genügt! Vertraue niemandem und achte stets darauf, mit wem du über was sprichst!“
Gunther muss über so viel freundschaftliche Besorgnis lächeln. „Klar, Chummer. Bis dann“, beendet er das Gespräch und bricht die Verbindung ab. Dann konzentriert er sich auf den Verkehr und schaltete den Autopiloten aus.
Schon wenige Augenblicke später biegt er mit seinem Wagen direkt in die Sonnenleite ein. Dieser Vorort von Bochum, das auch „Las Vegas anne Ruhr“ genannt wird, macht keinen guten Eindruck. Schon als Gunther von der A44 abfuhr konnte er erkennen, dass diese Gegend nicht gerade für sich sprach. Graffitis mit Parolen gegen den im Plex vorherrschenden Saeder-Krupp-Konzern waren an zahlreichen Wänden und Brückenpfeilern zu sehen gewesen.
Auch hier in dieser Straße, die von hohen fünf‑ bis achtstöckigen Wohnsilos dominiert wird, sind Graffitis an die Hauswände und teilweise sogar auf geparkte Fahrzeuge gesprüht worden. Ein paar Autowracks stehen neben Bergen von Sperrmüll am Straßenrand. Dazwischen spielen Kinder und scheinen dabei ihren Spaß zu haben. Während Gunther langsam die Straße entlang fährt und nach der Hausnummer 42 sucht, nimmt er immer mehr Eindrücke in sich auf. Ein Häuserblock sieht hier aus wie der andere, eigentlich unterscheiden sie sich nur von den unterschiedlichen Pieces und den farbigen Hauseingängen. Verschläge mit großen Mülltonnen stehen vor jedem Block, doch größtenteils liegt der Müll einfach in der Gegend herum. Gelbes Gras bedeckt kleinere Flächen und dient den Kindern als Spielplatz. In dunklen Hauseingängen stehen leicht bekleidete Frauen oder zwielichtige Typen.
Die Straße führt einen leichten Hügel hinab und windet sich nach rechts. 46, 44, 42 – dort ist es! Gunther fährt mit seinem Pickup an den Straßenrand, schaltet den Motor ab und schaut sich neugierig um.
Direkt vor sich sieht er zwei uniformierte Männer, einer von ihnen scheint ein Ork zu sein, die mit einer beleibten Frau in einer Art Morgenmantel und einer Zigarette im Mundwinkel diskutieren. Daneben stehen drei Kinder, die neugierig dem Gespräch folgen. Immer wieder deutet die Frau auf etwas, was augenscheinlich hinter dem Haus liegen muss. Die Uniformträger sind Beamte der ADL-Polizei, einem Überbleibsel der einstigen Polizei, die immer mehr von privaten Unternehmen und konzerneigenen Wachmännern verdrängt wird. In unmittelbarer Nähe kann Gunther den Einsatzwagen der Beamten, einen EMC Serena, erkennen.
Unweigerlich schaut Gunther in die Richtung, in die die Frau die ganze Zeit deutet. Er guckt am Wohnsilo vorbei die Anhöhe hinab und erspäht dort die Überreste von ehemaligen Reihenhäusern. In etwa einem Kilometer Entfernung erkennt er außerdem noch einen größeren, mit gelblichem Gras und kleinen Büschen bewachsenen Berg, und rechts daneben mehrere Gebäude, die von einem hohen Stacheldraht umgeben sind. Doch dort kann er nichts Besonderes ausmachen, der Ort, um den es in dem Gespräch geht, muss unmittelbar hinter dem Haus liegen.
„Nett hier“, murmelt Gunther vor Sarkasmus triefend, als er einen genaueren Blick auf die heruntergekommenen Wohnsilos wirft. Er schätzt, dass sie in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut wurden – funktional, aber nicht sehr ansprechend, Beton in Beton eben. Und die letzten 100 Jahre haben ihr übriges getan.
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